Tipps zum Pflichtteil – Fachanwalt Erbrecht Dr. Stefan Günther, Wiesbaden:

Der gesetzliche Anspruch auf den Pflichtteil gem.§ 2303 BGB wird in seiner Bedeutung häufig verkannt. In seiner Höhe ist der Pflichtteil auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils beschränkt. Der Anspruch besteht immer dann, wenn der Betroffene durch Erbvertrag oder Testament von der Erbfolge ausgeschlossen ist. Aber nicht jeder ist pflichtteilsberechtigt. Den Pflichtteil verlangen können, z.B. vor dem AG Wiesbaden, nur der Ehegatte, Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft und die leiblichen Kinder. Enkel sind nur dann berechtigt, den Pflichtteil zu beanspruchen, wenn der Elternteil vorverstorben ist § 2309 BGB.


Pflichtteil und europäische Erbrechtsverordnung
Seit dem 17.August 2015 gilt die europäische Erbrechtsverordnung. D.h. es ist das Erbrecht in Bezug auf den Pflichtteil maßgebend, in dem der Erblasser zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Es sei denn, es wurde in der letztwilligen Verfügung eine Rechtswahl für sein Heimatland getroffen. Der Pflichtteilsanspruch kann also entfallen, wenn der deutsche Erblasser, ehemals wohnhaft in Wiesbaden, im europäischen Ausland verstirbt, das kein Pflichtteilsrecht kennt.Umgekehrt entstehen plötzlich Pflichtteilsansprüche für im Ausland lebende Abkömmlinge, deren Erblasser in Deutschland (z.B. Wiesbaden, Mainz, Frankfurt) verstarb.

Anspruchsinhaber des Pflichtteils – Sozialbehörden und Insolvenz
Auf den Personenkreis der Anspruchsberechtigten in Bezug auf den Pflichtteil wurde bereits eingegangen. Im Fall des Empfangs von Sozialleistungen kann der Anspruch – wie andere erbrechtliche Rechte auch – auf die Sozialbehörde (Stadt Wiesbaden) gem.§ 93 SGB VII übergehen, ohne dass es auf den Willen des Berechtigten ankommt. Hat z.B. ein Kind entsprechende Leistungen erhalten, und wurde es von den Eltern „enterbt“, wird der Pflichtteilsanspruch durch die Behörde mit allen nachteiligen Konsequenzen umgesetzt werden.Im Fall der Privatschuldner-Insolvenz des Pflichtteilsbrechtigten fällt dieser Anspruch zwar in die Insolvenzmasse, jedoch kann seine Umsetzung nicht erzwungen werden. Weigert sich der Anspruchsinhaber hat der Insolvenzverwalter keine Handhabe.


Die gerichtliche Durchsetzung von Pflichtteil und Pflichtteilsergänzungsansprüchen
Zunächst besitzt der Anspruchsinhaber einen Anspruch auf Übermittlung der Werte, anhand derer er seinen Pflichtteilsanspruch berechnen kann. Im Regelfall erfolgt dies unter Fristsetzung und Androhung einer Klage vor dem Nachlassgericht, AG Wiesbaden, oder einem anderen Gericht, in dessen Bezirk der Aufenthalt des Erblassers vor dessen Tod begründet war. Erfolgt keine Auskunft oder ist diese unvollständig, kann der Rechtsweg beschritten werden. Der Erbe wird dann im Wege einer sog. Stufenklage zunächst aufgefordert, Auskunft über die Werthaltigkeit des Nachlasses und möglicher Schenkungen zu erteilen.Als Besonderheit treten häufig zwei Irrtümer auf, die sich für die Gegenseite häufig nachteilig auswirken, weil sie den Wert des Nachlasses deutlich erhöhen.

Zum Einen ist dies die Auskunftsverpflichtung des verstorbenen Ehepartners. Hier gilt die übliche 10-Jahresfrist § 2325 Abs. 3 BGB nicht.  Vielmehr beginnt die für eine Schenkung maßgebliche Frist erst mit Auflösung der Ehe zu laufen (§ 2325 Abs. 3 S. 3 BGB). D.h. es sind alle während der Ehe erfolgten Schenkungen pflichtteilsrelevant. Zum Anderen wird häufig bei Grundstücksübertragungen gegen Nießbrauchsvorbehalt die Bedeutung der tatsächlichen Verfügungsgewalt verkannt, die weiterhin beim Übergeber (Nießbrauchsnehmer) verbleibt. Aus diesem Grund ist für die Berechnung der Frist des § 2325 Abs. 3 BGB nicht der Zeitpunkt der Übertragung des Grundstückes, sondern der Tod des Übergebers maßgebend. Denn erst mit dessen Tod hat er die wirtschaftliche Nutzungsbefugnis faktisch aufgeben.

 

 

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Dr. Stefan Günther

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